Vorsteuerabzug: Der zutreffende Zeitpunkt wird künftig vom Besteuerungsregime des Rechnungsausstellers abhängen.

EuGH widerspricht der deutschen Steuerpraxis und gewährt bei Rechnungsausstellern, die Ist-Versteuerer sind, den Vorsteuerabzug erst bei Zahlung.

Erneut hat der EuGH die Auslegung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) durch die deutsche Steuerbürokratie abgelehnt, allerdings diesmal eher zu Ungunsten der Unternehmer. Die deutsche Finanzverwaltung hat es bisher zugelassen, dass der Rechnungsempfänger unabhängig von seiner Zahlung bereits dann den Vorsteuerabzug geltend machen kann, wenn er über die Rechnung verfügt. Ob die andere Seite, also der Rechnungsaussteller und Leistende, die Umsatzsteuer nach dem Soll-Prinzip, also ab Rechnungsstellung bzw. Leistung, oder nach der Ist-Versteuerung, also Abführung der Umsatzsteuer erst bei Zahlung des Rechnungsempfängers, an das Finanzamt abgeführt hat, spielte in Deutschland bislang keine Rolle.

Dieser lockeren Sichtweise hat der EuGH im Urteil vom 10.02.2022 (Rs. C-9/20, Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136) nun ein Ende bereitet. In Zukunft wird jeder Rechnungsempfänger die zusätzliche Information benötigen, ob der Rechnungsaussteller Soll- oder Ist-Versteuerer ist. Es wird also eine neue Rechnungsformalie geschaffen, bei reinen Inlandssachverhalten dann 11 an der Zahl. Sobald der deutsche Steuergesetzgeber die EU-Vorgaben umgesetzt hat, sollten Rechnungen nicht bezahlt werden, aus denen die Versteuerungsart des Rechnungsausstellers nicht klar ersichtlich ist. Gerade um den Jahreswechsel herum kann eine zeitlich falsche Geltendmachung zum endgültigen Verlust des Anspruchs gegen den Fiskus führen. Bis der deutsche Steuergesetzgeber die Vorgaben des EuGH umsetzt, wird allerdings noch einiges Wasser die Donau hinabfließen.

Einstweilen wird die großzügige deutsche Regelung deshalb weiter Geltung beanspruchen, während umgekehrt, wenn das Finanzamt gegen einen Vorsteuerabzug Festsetzungsverjährung einwendet, das Europäische Recht Vorrang genießt. So wird nun auch das Finanzgericht Hamburg im Ausgangsverfahren den begehrten Vorsteuerabzug nicht mehr ablehnen können, nur weil die Rechnung aus festsetzungsverjährter Zeit stammte: Die viel spätere Zahlung fiel nämlich in einen nicht verjährten Zeitraum.


RA und Fachanwalt für Steuerrecht Peter Eller, München, www.msa.de, eller(at)msa.de

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