Richtsatzsammlung: BFH stellt den amtlichen Datenpool als Grundlage für Zuschätzungen in Frage.

Die Finanzverwaltung unterliegt im Prozess, wenn sie Fragen der Gerichte zur Korrektheit der zugrundeliegenden Daten nicht beantworten kann oder will.

Die Richtwerttabellen der Finanzverwaltung sind nach einem begrüßenswerten neuen Urteil des 10. Senats des BFH untauglich, sachgerechte Schätzungen zu begründen (Urteil vom 18.06.2025, X R 19/21). Der so genannte externe Betriebsvergleich scheitert für diese Zwecke aus zwei Gründen: Damit eine Stichmenge für die Gesamtmenge repräsentativ ist, muss sie nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Dies ist bei der Auswahl von Betriebsprüfungen bekanntlich nicht der Fall, jedenfalls in ca. 90 % der Fälle filtert die Finanzverwaltung aus den Steuererklärungen und dem Steuerverhalten von Unternehmern bestimmte Kriterien heraus, um bei den – wenigen - geprüften Unternehmen eine möglichst hohe Steuerausbeute zu erzielen. 

Der zweite Grund ist: Selbst wenn die Finanzverwaltung danebengreift und Verlustunternehmen prüft, fließen deren Ergebnisse nicht in ihre Durchschnittswerte ein. Diese Ergebnisse einfach unter den Tisch fallen zu lassen, führt nach den vom BFH ausführlich herangezogenen statistischen Grundprinzipien zwangsläufig zu einem völlig verzerrten Durchschnittsergebnis. Die Scheinargumente des assistierenden Bundesministeriums der Finanzen hat der BFH derart zerpflückt, dass sich die Frage aufdrängt, warum jahrzehntelang auf die identische irreguläre Weise zustande gekommene Richtsatzsammlungen erhebliche Zuschätzungen der Finanzverwaltung legitimieren konnten. Damit ist die Finanzverwaltung auf den – wesentlich arbeitsintensiveren – internen Betriebsvergleich angewiesen, wenn sie im Grundsatz zu Schätzungen berechtigt ist, z.B. bei Mängeln in der Kassenbuchführung. Dabei wird aus den in den Einkaufsrechnungen ausgewiesenen Mengen anhand von Preislisten wie Getränke- und Speisekarten der mögliche Umsatz berechnet, der mit gewissen Abschlägen in die Prüfungsberichte und anschließend in die Steuerbescheide einfließt. 

Das Urteil hat es auch davon abgesehen in sich. Denn die Finanzgerichte müssen laut BFH nun prüfen, ob die Datenbanken der Finanzverwaltung, falls sie sich auf die Steuerfestsetzung auswirken, den Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung genügen. Ohne Fragen über die Zusammenstellung und Ableitung der anonymisierten Vergleichsdaten ist dies jedoch kaum möglich. Werden solche Fragen von der Finanzverwaltung z.B. wegen des Steuergeheimnisses nicht beantwortet, geht dies zu Lasten des Beweiswertes der Vergleichsdaten, so der BFH. Über die Richtsatzsammlung hinaus bestückt die Finanzverwaltung nämlich weitere Datenbanken, z.B. um die ortsübliche Miete bestimmten zu können (Stichwort verbilligte Überlassung von Wohnraum) oder Grundstückswerte (Stichwort Schenkung und Vererbung von Immobilien). Noch kürzlich hat der BFH im Urteil vom 09.05.2025 (9. Senat, Az. IX R 1/24) gegen die mutige Vorinstanz in Mecklenburg-Vorpommern entschieden, dass die Finanzverwaltung die Eingangsdaten Ihrer Sammlungen nach § 21a Finanzverwaltungsgesetz geheim halten darf, weil das Informationsfreiheitsgesetz insoweit außer Kraft gesetzt wird. Ein Pyrrhussieg der Finanzverwaltung, wie sich jetzt gezeigt hat. Denn der BFH zieht nun die Konsequenz und verlagert die gerichtliche Aufklärungspflicht in alle Verfahren, in denen die Anwendung der Geheimdatenbanken der Finanzämter eine Rolle spielt.

Fazit: Gegen Einspruchsentscheidungen (in der FA-Hierarchie entscheidet faktisch der Prüfer über den Einspruch) sollte mit Verweis auf die BFH-Rechtsprechung geklagt werden.

 


RA und Fachanwalt für Steuerrecht Peter Eller, München, www.msa.de, eller(at)msa.de

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