Die Grenzen der digitalen Betriebsprüfung

von Peter Eller

Trotz GDPdU: Unternehmen müssen nicht gläsern werden

Bevor die digitale Betriebsprüfung (Datenzugriff der Finanzverwaltung) Ende 2000 gesetzlich verankert wurde, fand - fast auschließlich in juristischen Fachkreisen – eine lebhafte Debatte darüber statt, ob die erheblich erweiterten gesetzlichen Befugnisse der Betriebsprüfer nicht gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verstoßen. Namhafte Kommentatoren regten an, in einem Musterverfahren solle das Bundesverfassungsgericht über die Nichtigkeit der neuen Vorschriften entscheiden. Nach dem ersten Sturm der Entrüstung gingen die Verfechter der betrieblichen Freiheit vor übermäßigen Eingriffen der Finanzverwaltung aber alsbald auf dauernde Tauchstation.

Nichtjuristische Autoren bemächtigten sich nun nachhaltig des Themas: allen voran Steuerberater, die von Haus aus mit verfassungsrechtlichen Aspekten des Steuersystems weniger anfangen können, und Berater von Dokumentenmanagement- und Archivierungssystemen, die das große Geschäft witterten. So stellt auch der Beitrag von Ulrich Kampffmeyer und Stefan Groß (Siehe CW 46/2003: „Idea-Client erleichtert digitale Steuerprüfung”) die technische Lösung des Archivierungsproblems in den Vordergrund Dabei wurden die entscheidenden Vorfragen vernachlässigt, inwieweit die digitale Betriebsprüfung überhaupt in den Betrieb eingreifen darf: im Hinblick auf Investitions- und Prüfungskosten und auf die Qualifizierung und den Umfang der bereitzustellenden Daten.


Einigen Behauptungen der Autoren muss widersprochen und die Problematik des Datenzugriffs in den zutreffenden und für Steuerpflichtige vorteilhafteren Zusammenhang gerückt werden.

1. Es ist nicht im Interesse des Steuerbürgers, dass das Bundesministerium der Finanzen (BMF) weitere Zweifelsfragen zur digitalen Betriebsprüfung klärt. In den „Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen” (GDPdU) hat das BMF seine Befugnisse bereits weit über den Gesetzeswortlaut hinaus ausgedehnt. Bei weiteren Präsizierungen durch das Ministerium wird sich diese Tendenz verstärken, weil die Finanzverwaltung im eigenen Interesse nicht auf ausgelotete Handlungsspielräume verzichtet. Es ist vielmehr Aufgabe der Steuerpflichtigen und der Gerichte, die Finanzverwaltung insofern auf die verfassungsmäßigen Beschränkungen zu verweisen.

2. Es gibt einige wenige Checklsiten, die die Auffassung der jeweiligen Autoren widerspiegeln. Der steuerliche Berater mag sich an der einen oder anderen Checkliste orientieren, die Verantwortung für die entscheidende Frage, welche Dokumente sind als steuerrelevant aufzubewahren und welche nicht, verbleibt unangefochten in seinem Verantwortungsbereich.

3. Ausschlaggebend ist nicht die technische Vorfrage, wo steuerrelevante Daten anfallen. Entscheidend ist vielmehr, welche Unterlagen steuerrelevant sind, die in die Finanzbuchhaltung einfließen und in welcher Form dies hinsichtlich der digitalen Betriebsprüfung dokumentiert werden muss. Auch bislang hat sich der Fiskus nicht für jeden Kassenbon einer Supermarktkasse interessieren dürfen, woran Möglichkeiten der digitalen Betriebsprüfung nichts ändern.

4. Da die digitale Betriebsprüfung schwerwiegende Eingriffe für die Steuerpflichtigen mit sich bringt, müssen sich diese strikt auf die Ermächtigungsgrundlage in der Abgabenordnung zurückführen lassen. Nur was dort eindeutig als Pflicht für den Steuerpflichtigen festgelegt ist, kann für den Prüfer Grundlage seines Handelns sein. Findet sich dort keine gesetzliche Anweisung, so entsteht im Zweifelsfall keine Pflicht für den Steuerpflichtigen. Grundsätzlich sind diese in ihrem Handeln frei - nur wo sich die Finanzverwaltung ausdrücklich auf gesetzliche Ermächtigungen berufen kann, ist diese Freiheit eingeschränkt. Trotz vieler Artikel („Firmen sind auf digitale Betriebsprüfung nicht vorbereitet.”) wird von der Rechtsordnung auch in diesem Bereich niemand zu vorauseilendem Gehorsam verpflichtet.

5. Die ausufernden Anforderungen hinsichtlich Zurückverfolgbarkeit und Revisionssicherheit der Daten sind in – lediglich die Finanzbeamten bindenden – Verwaltungsanweisungen (in erster Linie in den GDPdU) niedergelegt. Sie binden lediglich die Finanzbeamten und betreffen das Verhältnis zwischen Steuerpflichtiger und Prüfer nur insoweit, als der maßgebliche Gesetzestext zutreffend interpretiert wurde. Da die Abgabenordnung äußerst komprimiert die Befugnisse beschreibt und dabei viele nicht definierte Begriffen verwendet, lässt sich über die juristische Auslegung durchaus verschiedener Meinung sein. Darüber befinden letztlich die Gerichte, wenn man sie denn anruft.

6. Wer seine steuerrelevanten elektronischen Daten ordnungsgemäß sichert und die restlichen betrieblichen Daten vor dem ersten Zugriff des Prüfers abschirmt, ist in den meisten Fällen auf die Anforderungen des mittelbaren und unmittelbaren Datenzugriffs ausreichend vorbereitet. Mit den Lieferanten der betrieblichen IT-Systeme ist ferner abzustimmen, dass die Daten in einem in der Prüfsoftware „Idea” verarbeitbaren Format auf CD oder auf einen anderen verbreiteten Datenträger gebrannt werden können.

7. Die Verlautbarungen der Finanzverwaltung unterstellen demgegenüber tendenziell jedem zu prüfenden Steuerpflichtigen Buchführungs- und Bilanzmanipulationen. Diese Vermutung ist nicht nur lebensfremd, sie ist auch durch keine gesetzliche Grundlage gestützt. Jede in sich geschlossen wirkende Buchführung birgt zunächst einmal die Vermutung der Vollständigkeit und inhaltlichen Richtigkeit. In den weit überwiegenden Fällen unzutreffender Buchführung werden bereits die Eingabedaten manipuliert, bzw. um das Schwarzgeld gemindert erfasst. In diesen Fällen sagt auch die Garantie, dass keine nachträglichen Manipulationen möglich sind, nichts aus.

Die Diskussion um die digitale Betriebsprüfung muss daher auf neue Beine gestellt werden. Es geht nicht darum, Archivierungs-, Dokumentenmanagement- und elektronische Aufbewahrungspflichten aufzublähen, sondern den Freiraum des Bürgers gegen übermäßige Eingriffe der Finanzverwaltung zu verteidigen.

Ziel ist, die Vorschriften in der Abgabenordnung verfassungskonform einschränkend auszulegen und die aus der Prüfung ergebenden Belastungen für den Steuerbürger in einem zumutbaren Rahmen zu halten. Auf einen Nenner gebracht müssen lediglich steuerrelevante originär elektronische Unterlagen in Zukunft digital und fälschungssicher aufbewahrt werden.

Nach oben

Welche Dokumente?

Kernfrage ist mangels gesetzlicher Definition jedoch, welche der unzähligen Dokumente im Betrieb dies eigentlich sind. Im Rahmen dieses Kurzbeitrages kann die Problematik nur anhand von wenigen Hinweisen und Beispielen erörtert werden. Eindeutig ist die Rechtslage beispielsweise für:

  • elektronische Rechnungen im Sinne von § 14 Absatz 4 Satz 2 Umsatzsteuergesetz (UStG), die zum Vorsteuerabzug zugelassen sind,
  • in den Systemen des Steuerpflichtigen automatisch weiter verarbeitete elektronische Daten, insbesondere Datensätze und Buchungsdaten,
  • mit Hilfe von Computersystemen erzeugte Unterlagen, die der Steuerpflichtige nur elektronisch aufbewahrt hat.

Umstritten ist die dritte Kategorie von elektronischen Dokumenten, soweit sie zwar mit Hilfe von Computerprogrammen erstellt worden sind, aber weder automatisch weiter verarbeitet werden können, noch eine digitale Signatur aufweisen. Die Finanzverwaltung möchte z.B. E-Mails samt und sonders der Regie der digitalen Betriebsprüfung unterwerfen. Dies greift jedoch viel zu weit und ist von den Zwecken der digitalen Betriebsprüfung nicht gedeckt.

Nach oben

E-Mails drucken?

Bei E-Mails und allgemein elektronischen Dokumenten, bei denen ein Ausdruck nicht mehr Informationsgehalt birgt als das elektronische Dokument, hat der Steuerpflichtige die Wahl: Druckt er das Dokument aus und vernichtet die E-Mail auf seinem Computer, so hat er seine Aufbewahrungspflichten erfüllt. Hierbei ist darauf zu achten, dass die E-Mail im Quelltext abgedruckt wird, da sich hier Übermittlungshinweise (und auch Hinweise auf Fälschungen) finden, die im normalen Ausdruck nicht auftauchen. Entscheidet sich der Steuerpflichtige für die elektronische Aufbewahrung, so muss er sämtliche Anforderungen an elektronische Dokumente einhalten. (ajf)

Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in München. Zudem hat er sich in seinem Fachbuch „Elektronische Rechnungsstellung und digitale Betriebsprüfung” mit der Thematik auseinandergesetzt.

Nach oben

© nemadesign GbR Stuttgart 2015-2021